Zurzeit sieht es so aus, als sei Deutschland in der Coronakrise relativ glimpflich davongekommen.
Praxen und Krankenhäuser hatten den Regelbetrieb herunter-gefahren, um Kontakte und damit Ansteckungsrisiken zu verringern.
Jetzt stehen viele Betten in den Kliniken leer und auch die Praxen verzeichnen einen starken Rückgang an Patienten.
Eine Regel der Statistik lautet: Häufiges ist häufig und Seltenes selten.
Bei aktuell 18 Fällen (die anderen sind wieder gesund bzw. 4 sind seit dem 28. Februar verstorben) von Corona bei 260.000 Einwohnern im Landkreis Gießen besteht statistisch also kaum eine Gefahr der Ansteckung. (Landkreis Gießen, Gesundheitsamt)
Nach Ansicht vieler Ärztinnen und Ärzte ist es deshalb an der Zeit, allmählich zur Regelversorgung zurückzukehren – ohne dabei Maßnahmen wie die strikte Trennung von „normalen“ Patienten und solchen mit Corona-Verdacht zu vernachlässigen. Eine solche Isolierung geschieht übrigens bei jeder Krankheit mit schwerem Ansteckungsverdacht. Denn schwere Erkrankungen – wie COPD (chronische (durch teilweisen Verschluss der Atemwege) hemmende Lungenkrankheit), Lungenemphysem, chronische Bronchitis, Asthma, Diabetes mellitus („Zuckerkrankheit“), Herzinsuffizienz oder Niereninsuffizienz (-schwäche), Krebs usw. – machen keine Corona-Pause .
Diese Krankheiten dürfen nicht unbehandelt bleiben, weil sie in vielen Fällen gefährlicher verlaufen als eine mögliche Infektion mit der SARS-CoV-2-Virus.
Doch viele Patienten trauen sich nach dem anhaltenden Informationsbomardement der Medien aus Angst vor einer Ansteckung nicht mehr in die Praxen oder Krankenhäuser.
Kinder- und Jugendärzte beklagen, dass Termine für wichtige Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen abgesagt werden.
Auch in Biebertal sehe ich deutlich weniger Patienten im Wartezimmer. Ca. um 1/3 hat sich die Patientenzahl sowohl in den Praxen wie in den Krankenhäusern reduziert.
Erstaunlicherweise auch bei Fachärzten – Orthopäden, Gynäkologen usw -, an die man sich wegen Fieber oder Erkältung gar nicht wendet.
Die Ängste sind oft irrational und bei vielen mehr eine Glaubenssache als von wissender Informiertheit geprägt.
Das gilt auch für den unsachgemäßen Umgang mit Schutzmaßnahmen – die, hätten wir ein höheres Infektionsrisiko, zu deutlich mehr Infektionen beitragen würden. Ebenso fürchte ich, dass das unsachgemäße Desinfizieren und Handschuhtragen dazu beiträgt, ganz andere Keime zu fördern und auch resistent gegen Antibiotika zu machen. Im feucht-warmem Klima gedeihen Bakterien und Hefen nämlich besonders gut.
Im Deutschen Ärzteblatt wird davon berichtet, dass Patienten oft erst viel zu spät z. B. nach Herzinfarkten in die Klinik gehen, so dass schwere Komplikationen sich mehren, die man sonst kaum noch gesehen hat. Das Phänomen sei auch in Österreich und Italien zu beobachten.
Auch bei Krebserkrankungen sind Erstdiagnosen zurückgegangen, weil Untersuchungen zur Früherkennung unterbleiben.
Das muss sich dringend ändern, da die Folgen für die Menschen gravierend sein können.
Insofern ist dieser Artikel keine Werbung für „notleidende“ Praxen, sondern eine wichtige Information, die helfen soll, den gesunden Menschenverstand wieder zu aktivieren. Angst war noch nie ein kluger Ratgeber.
Quelle: Dt. Ärzteblatt 6/2020, Gießener Anzeiger, 06.06.2020